Um die saterfriesische Sprache auch innerhalb der eigenen Gemeinde sichtbarer zu machen, sind viele Bänke im Saterland mit saterfriesischen Sprichwörtern versehen. (Fotos von Josua Tapken)

Lesedauer: 10 Minuten

Saterfriesisch – was fällt euch ein, wenn ihr das hört? Kulturelle Vielfalt? Die kleinste anerkannte Sprachminderheit in Deutschland? Oder doch eher etwas wie: Was ist denn das? Noch eine ausgestorbene, irrelevante und veraltete Sprache?
Dieses Schicksaal trifft derzeit leider sehr viele kleinere Regionalsprachen und vermutlich bald auch das Saterfriesische. Richtig gehört. Saterfriesisch sprechen nämlich nur noch rund 1500 oder weniger Leute in der Gemeinde Saterland, nur einige Minuten von hier entfernt. Und trotzdem, wie kommt es, dass man fast nie etwas von der Sprache hört? Ist es bereits zu spät für das Saterfriesische? Oder besteht noch Hoffnung?

Die Saterfriesische Identität

„Seelter“, so bezeichnen sich die Saterfriesen in ihrer eigenen Sprache. Letztendlich ist es oftmals die eigene Identität, die eine Regionalsprache am Leben hält, schließlich wird es wohl nicht so oft vorgekommen sein, dass Leute aus einem anderen Kontinent eine Minderheitensprache aus dem Landkreis Cloppenburg lernen – abgesehen von einer Ausnahme. Marron Curtis Fort, ein amerikanischer Sprachwissenschaftler, welcher sich auf die Erforschung der saterfriesischen Sprache fokussierte, veröffentlichte beispielsweise ein saterfriesisches Wörterbuch oder übersetzte auch das Neue Testament und Psalmen auf Saterfriesisch.
Da der Sprachgebrauch der Sprache immer weiter zurückgeht, vor allem bei den jüngeren Generationen, setzt sich die Gemeinde Saterland für die Erhaltung der Sprache ein. Ein gutes Beispiel wäre dafür wohl das LSG in Ramsloh, welches als einzige Schule ganz Deutschlands einen Saterfriesisch-Kurs anbietet.

Saterfriesisch als Unterrichtsfach?

Auch Herr Kramer unterrichtete Saterfriesisch am LSG, bevor er zum AMG kam. Er war sogar am Etablieren des Saterfriesisch-Kurs beteiligt und der Wunsch des LSG, den Erhalt des Saterfriesischen zu pflegen, wurde zu einer einmaligen Aufgabe.
Besonders hervorzuheben dabei ist, dass tatsächlich ein ganzes Curriculum für das Saterfriesische geschaffen wurde, unter anderem von Herrn Kramer, welches ebenso vom Kultusministerium genehmigt wurde. Aus diesem Grund war es den Lehrern am LSG möglich, Saterfriesisch sogar als benotetes Wahlfach anzubieten, sodass es tatsächlich einige ehemalige LSG-Schüler gibt, auf deren Zeugnis eine Note für das Saterfriesische vorzufinden ist.
Neben dem eigentlichen Unterricht wurden ebenso mehrere Lesewettbewerbe organisiert, welche auch noch heute stattfinden. Genauso arbeitete die Theater-AG am LSG an einigen Bühnenaufführungen wie „Der litje Prins“ (Der kleine Prinz) und „Momo“, mit denen man ebenso auf Tour ging.
Es wurde sogar ein ganzer Film über die Moore des Saterlands gestaltet, unter anderem mit der Hilfe des damaligen Saterfriesisch-Wahlkurses. Auch heute noch ist dieser Film über folgenden Link abrufbar: https://www.green-cut.de/index.php/projektgebiete/saterland
Und ob man es glauben mag oder nicht, selbst Austauschschüler aus Frankreich beteiligten sich vor einigen Jahren am Lernen der Saterfriesischen Sprache!
Ebenso schilderte Herr Kramer einige Eindrücke bezüglich seinen frühesten Erfahrungen mit der saterfriesischen Sprache. Tatsächlich hatte Herr Kramer ab uns zu Kontakt mit dem amerikanischen Sprachwissenschaftler Marron Curtis Fort, da dieser genau wie sein Onkel in Leer wohnte und der gelegentliche Kontakt dadurch vereinfacht wurde. Eine Erinnerung aus dem Kindesalter blieb für Herrn Kramer allerdings besonders prägnant.

Fort ist auch an meinen Opa geraten. Das erste Buch, das Fort veröffentlichte, „Saterfriesisches Volksleben“, besteht ausschließlich aus Geschichten von meinem Großvater. Ich weiß noch, wie ich als kleiner Junge, vier bis fünf Jahre, bei Fort auf dem Schoß saß und den Geschichten zuhörte.

Herr Kramer


Geschichte der Sprache

Eigentlich ist es ein Wunder, dass das Saterfriesische noch immer vereinzelt gesprochen wird. Schon im 16. Jahrhundert ging der Sprachgebrauch aller ostfriesischen Sprache immer weiter zurück, da andere Sprachen, vor allem aber das Plattdeutsche und letztendlich auch das Hochdeutsche die Überhand gewannen. Auch das Saterland gehört kulturell zur sogenannten „Ostfriesischen Halbinsel“, der nordwestlichsten Regionen Deutschlands, welche auch an die Niederlande grenzt. In dieser Region wurden damals viele friesische Sprachen gesprochen, von denen heutzutage der Großteil noch in den Niederlanden vorzufinden ist.
Die ostfriesische Sprache hingegen, welche in Betracht heutiger Grenzen auf deutscher Seite gesprochen wurde, wurde allerdings komplett vom Nieder- bzw. Plattdeutschen aus der Region geschafft. Dabei gibt es nur eine einzige Ausnahme – das Saterfriesische. Richtig gehört, Saterfriesisch ist die letzte verbleibende Varietät der ostfriesischen Sprache, die noch existiert.
Doch wieso ist das so? Wieso übernahm das Niederdeutsche in der gesamten Ostfriesischen Halbinsel die Überhand, nur nicht im kleinen Saterland? Dafür gibt es eine ganz einfache Erklärung, denn obwohl das Saterland nicht weit entfernt von anderen Teilen des Ostfrieslands war, waren sie sehr isoliert von ihren Nachbarn und hatten kaum Kontakt mit Außenstehenden und dementsprechend auch mit der Niederdeutschen Sprache. Grund dafür war die geographische Lage des Saterlands, denn das Moor, das die Gegend umgibt, erschwerte den Kontakt zu anderen Ortschaften.
Man kann sich die Lage der ersten saterfriesischen Dörfern tatsächlich als einen Sandrücken vorstellen, der vom Moor umrandet war. Bis zum 19. Jahrhundert war es also praktisch unmöglich, das Saterland ohne Boot zu betreten bzw. zu verlassen. Diese Isolation führte dazu, dass die Sprache nicht durch das Niederdeutsche ersetzt wurde und auch noch Jahrhunderte nach dem Aussterben des Ostfriesischen gesprochen wird.
Dennoch sollte man auch einen Blick auf die Schattenseiten der Geschichte des Saterfriesischen werfen, beispielsweise auf den unmoralischen Teil bezüglich dem Rückgang des Sprachgebrauchs.

Ich bin Muttersprachler, aber irgendwie auch nicht. Wie bei vielen in meiner Generation haben unsere Eltern die Aufforderung bekommen, mit den Kindern nur noch Hochdeutsch zu reden. […] Das Saterfriesische wollte gezielt aus der Welt geschaffen werden.

Herr Kramer

Herr Kramer betont dabei ebenso, dass dieses Abschaffen der Sprache eindeutig gewollt war. Sei es die damalige Bezeichnung als „Bauernsprache“ oder auch die Entscheidung, keinen Schulunterricht in der Regionalsprache zu geben, das Hochdeutsche wurde gezielt als etwas Besseres dargestellt. Dabei erwähnt Herr Kramer auch, dass eine gewisse Bilingualität für die eigene Entwicklung wichtig sei und die oftmals fehlende Option, Sprachen wie das Saterfriesische zu lernen, auch Nachteile in der Entwicklung im Kindesalter mit sich ziehen würde.
Dennoch lebt ein wertvoller Teil ostfriesischer Geschichte und Kultur im Saterland weiter, auch obwohl die ostfriesische Sprache mit der Ausnahme vom Saterfriesischen bereits seit mehreren Jahrhunderten ausgestorben ist.

Ähnlichkeiten zu anderen Sprachen

Bis vor einiger Zeit war Saterfriesisch nicht die einzige Varietät des Ostfriesischen, denn es gab ebenso noch das sogenannte „Wangerooger Friesisch“, welches allerdings vor ca. 80 Jahren ausstarb. Die Lage als Insel sorgte auch hier für eine gewisse Isolation von anderen Sprachen wie beim Saterfriesischen, doch letztendlich war die Sprache langfristig nicht mehr überlebensfähig – 1930 starb der letzte Muttersprachler des wangerooger Friesischen auf der eigentlichen Insel und 1950 starben die letzten beiden Sprecher der Sprache auf dem Festland.
Auch sind die Verhältnisse zu anderen Friesen im Saterland sehr gut, vor allem aufgrund des „Friesenrats“. Dieser Rat unterteilt sich in die Himmelsrichtungen, in denen einzelne friesische Sprachgruppen der norddeutschen Tiefebene zu finden sind (West, Süd und Ost). Unter der Kategorie West fällt der niederländische Teil des friesischen Sprachraums, um genauer zu sein die Provinz Friesland, in welcher der Großteil der Friesen leben. Rund 350.000 Leute sprechen Westfriesisch, was im Vergleich zum Saterfriesischen als ostfriesische Sprache mit unter 1500 offiziellen Sprechern fast schon wie eine Weltsprache wirkt. Dennoch bezweifelt Herr Kramer die offizielle Zahl der Saterfriesisch-Sprecher, laut ihm läge die tatsächliche Zahl der Sprecher weit unter den offiziell angegebenen Zahlen.
Neben dem Saterfriesischen wird die Kategorie Ost auch noch von der Kreisstadt Aurich vertreten, in welcher wie im Rest der Ostfriesischen Halbinsel das sogenannte „Ostfriesische Platt“ gesprochen wird.
Zu guter Letzt gibt es noch die Sektion Nord, welcher derzeit ebenso den Vorsitz im Rat belegt. Jede 3 Jahre wird ein neuer Vorsitz gewählt, was aus heutiger Sicht erneut in diesem Jahr passieren wird. Mit der Nord-Sektion sind die nordfriesischen Sprachen im Bereich von Schleswig-Holstein gemeint, von denen es insgesamt 10 Variationen und bloß 10.000 Sprecher gibt, was immerhin ca. 8500 Sprecher mehr als in der ostfriesischen Region sind.
Dennoch muss man beachten, dass in diesen sogenannten „drei Frieslanden“ jeweils eigene Räte existieren, welche allerdings in ihren Strukturen sehr unterschiedlich sind. Dennoch werden ab und zu auch Kulturfestivals abgehalten, welche alle drei Frieslanden in Betracht ziehen, wie beispielsweise das „Friesen-Droapen“. In diesem mehrtägigen Festival auf Helgoland, was jede drei Jahre stattfindet, wird die friesische Tanz- und Musikkultur in den Fokus genommen.

Kennzeichen des Saterfriesischen

Und falls es noch nicht aufgefallen ist: Saterfriesisch ist eine eigenständige friesische Sprache, kein Dialekt oder sogar Variation des Hochdeutschen. Ja, friesische Sprachen und das Hochdeutsche fallen alle in die germanische Sprachgruppe, aber dennoch gibt es wesentliche Unterschiede, welche unter anderem beim Saterfriesischen auffallen.
Vor allem die hohe Anzahl an Lauten macht das Saterfriesische aus – ganze 21 unterschiedliche lange und kurze Vokale finden sich in der Sprache wieder.
Auch bei den sogenannten „Diphthongen“ ist das Saterfriesische mit ganzen 16 Stück an der Zahl ein klarer Spitzenreiter. Diphthonge sind mehrere hintereinandergeschriebene, oft unterschiedliche Vokale wie z.B. das „ei“ beim Wort „frei“ oder auch das „au“ in „Auto“. Um einen angemessenen Vergleichswert zu haben, im regulären Hochdeutsch finden sich in der Regel nur drei Diphthonge wieder (abgesehen von einigen Ausnahmen), und zwar „ei“ [ae], „au“ [ao] und „eu“ [ɔg].
Bemerkenswerte Beispiele der Diphthonge im Saterfriesischen wären wohl das „üüi“ wie beim Wort „Sküüi“ (Bratensaft) oder auch das „oai“ beim Adjektiv „toai“ (zäh).
Eine weitere Besonderheit der Saterfriesischen Sprache ist der Konsonant „r“, denn dieser wird im Silbenlaut häufig als Vokal ​[⁠ɐ⁠] ausgesprochen. Vorstellen kann man sich das wie beispielsweise das „er“ am Ende der Wörter „der“, „Kinder“ oder auch „Fernseher“.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass das Saterfriesische sich über die Zeit sehr konservativ gehalten hat, da viele ältere Sprachstrukturen wie z.B. aus dem Altfriesischen (13.-16. Jahrhundert) weiterhin in der Sprache wiederzufinden sind.
Auch ist es beeindruckend, wie viel Abwechslung das Saterfriesische einem bietet. Selbst wenn man sich nur zwei bis drei Kilometer im Saterland fortbewegt, trifft man schon auf eine leicht unterschiedliche Varietät der Sprache, während das beim Hochdeutschen für mehrere zehn, wenn nicht sogar hundert Kilometer nicht der Fall ist.

Besteht noch Hoffnung?

Leider glaube ich nicht, dass das Saterfriesische eine Zukunft hat. […] Selbst beim Unterricht am LSG hätte ich mit mehr Resonanz gerechnet, letztendlich war es nur eine knapp zweistellige Anzahl von Leuten, die mitgemacht haben. Ein anderer Grund für den Rückgang des Sprachgebrauchs liegt wohl in der Globalisierung, die den Saterfriesen mehr Türen öffnete, auch im Bereich Kultur und Sprache.

Herr Kramer

So traurig es auch sein mag, das Saterfriesische wird wohl keine blendende Zukunft haben, sei es nun aufgrund der Globalisierung oder der gezielten Abschaffung der Sprache, die vor einigen Jahrzehnten stattgefunden hat. Wer also nun Schuld am Rückgang des Sprachgebrauchs hat, ist schwer zu beantworten, da es dabei viele Einflussfaktoren gibt. Das Saterland ist nun mal nicht mehr so isoliert von der Außenwelt, wie sie es noch vor einigen Jahrhunderten waren und eine solche Entwicklung der Sprecherzahl würde somit ohnehin irgendwann eintreten. Das Wichtigste ist es, sich seiner regionalen Identität bewusst zu werden und diese zu pflegen, sei es auch mit anderen Mitteln als Sprache, wie z.B. mit kulturellen Veranstaltungen, Musik und vieles mehr.

Ap Wiersjoon!

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