Grunge-Ausstellung in der Rock & Roll Hall Of Fame in Cleveland (Foto: Adam Jones from Kelowna, BC, Canada, CC BY-SA 2.0)

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Was ist der „Seattle-Sound“?

Es ist der 24.9.1991, die einzigartige Musikszene rund um Seattle WA wächst bereits seit einigen Jahren langsam, aber sicher immer weiter und eine kleine Band, die ihren Ursprung im nahegelegenen Ort Aberdeen hat, hat gerade ihr zweites Studioalbum veröffentlicht. Die Rede ist von Nirvana mit ihrem Album „Nevermind“, welches jenen Tag zu dem machte, der später als Beginn des Durchbruchs der sogenannten Grunge-Szene angesehen werden würde. Auch wenn dieser Begriff heutzutage mit Sicherheit nicht mehr jedem etwas sagt, ist wahrscheinlich jeder von euch in irgendeiner Form, ob nun bewusst oder nicht, mit dieser Szene oder ihrem Einfluss auf die heutige Zeit schon einmal in Berührung gekommen.
Grunge als Genre ist geprägt durch Hits wie Smells Like Teen Spirit, Come As You Are, Even Flow oder Black Hole Sun sowie Künstler wie Nirvana, Pearl Jam, Soundgarden oder Alice in Chains. Im Ursprung nimmt das Genre viele Einflüsse aus verschiedensten Genres wie Punk, Metal und Hardrock der 1970er-Jahre und somit von Bands wie beispielsweise Black Sabbath und Black Flag, während bei den meisten Bands auch Elemente zahlreicher weiterer Rock-Genres wie unter anderem Garage- oder Noise-Rock auffallen.

Der Begriff

Doch was bedeutet der Begriff überhaupt? „Grunge“ ist englisch und bedeutet so etwas wie Dreck oder Schmutz, was den rohen Sound vor allem der früheren Musik des Genres beschreiben soll. Der Begriff etablierte sich als Beschreibung des Genres zwischen 1985 und 1990 in Seattle, der erste bekannte Fall der Verwendung des Wortes in diesem Sinne findet sich im Katalog des lokalen Musiklabels Sub Pop in Bezug auf das Album „Dry As A Bone“ der Band Green River, eine essentielle Band in den frühen Jahren der Szene.

Pearl Jam live 2012 (Foto: Alive87, CC BY 2.0 )

Große Vielfalt in einer kleinen Szene

Jedoch wird die Bezeichnung, die das Genre aufgrund ihres ursprünglichen Sounds erhielt der Vielfalt der Musik nur begrenzt gerecht. Der Fakt, dass dieses Genre nicht bloß basierend auf einem bestimmten Sound, sondern auch auf einer Idee sowie einer lokalen Community entstand, führte dazu, dass die verschiedenen Bands sehr unterschiedliche Einflüsse und Klänge als Inspiration für ihre Werke nutzten. So gibt es zum Beispiel Bands wie Nirvana, bei denen Punk-Elemente klar im Vordergrund stehen, Alice In Chains, die ihren Ursprung eher im Metal haben, oder auch The Smashing Pumpkins, bei denen häufig eine klare Idee des Progressive Rocks zum Vorschein kommt. Durch diese Diversität innerhalb der Szene und die vielen verschiedenen Ideen von Rockmusik, mit denen die Künstler konstant konfrontiert wurden, entwickelten sich viele einzigartige Sounds, die die verschiedenen Genres und Einflüsse vermischten.

Der Durchbruch

Kurt Cobain, Frontmann von Nirvana um 1992 (Foto: P.B. Rage from USA, CC BY-SA 2.0)

Auch wenn der Durchbruch der zuvor unbekannten lokalen Szene in den Mainstream zu Beginn der 90er-Jahre vielen Alben und Künstlern zu verschulden ist, ist es unumstritten, dass der Release von Nirvanas „Nevermind“ 1991 letztendlich das war, was Grunge weltbekannt gemacht hat. Smells Like Teen Spirit, die Lead-Single des Albums, wurde zum internationalen Hit und ermöglichte es dem Album im folgenden Jahr sogar, Michael Jacksons Album „Dangerous” von der #1 der Billboard-Charts zu katapultieren. Nachdem das erste Album von Nirvana namens „Bleach“ im Vergleich zu Nevermind tendenziell einen eher härteren Sound hatte, kombiniert Nevermind einen rohen, kräftigen Rocksound mit einem radiotauglichen Feinschliff und kreiert somit das ultimative Pop-Rock-Album seiner Zeit und schleudert Grunge in den unvermeidlichen Mainstream, während auch ihr folgendes Studioalbum „In Utero“ im Jahr 1993 viel Popularität erlangt. Einige weitere Beispiele an solchen Alben, die in den 90ern die Herzen junger Menschen eroberten und dem Genre zum Durchbruch verhalfen sind Soundgardens „Badmotorfinger“ (1991), Pearl Jams „Ten“ (1991) und Holes „Live Through This“ (1994).

Mentale Probleme und Drogenmissbrauch in der Szene

Wie es in der Rockgeschichte häufig der Fall ist, wird auch die Grunge-Szene stark mit Problemen wie Drogenmissbrauch, mentalen Problemen oder gar Suizid unter den Künstlern assoziiert. Beispiele dafür sind Andrew Wood, Sänger der Band Mother Love Bone, der 1990 infolge einer Heroinüberdosis starb oder Kurt Cobain, Layne Stayley und Chris Cornell, die allesamt Drogen und Suizid zum Opfer fielen. Doch warum ist das so? Häufig werden Probleme dieser Art auf den Druck des Berühmtseins bezogen, und auch wenn dies natürlich in den meisten Fällen kein zu vernachlässigender Faktor ist, gehen die Hintergründe meist noch weit darüber hinaus. Viele an der Szene beteiligte Künstler haben es bereits in jungen Jahren nicht leicht gehabt. Familiäre Probleme und Kontakt mit Drogen sind in der Region nicht selten gewesen, all die Sänger der vier größten Grunge-Bands (Kurt Cobain, Layne Stayley, Chris Cornell und Eddie Vedder) haben bereits vor ihrem 18. Lebensjahr geschiedene Eltern und alle vier haben in ihrer Jugend bereits Erfahrungen mit Drogen, Einsamkeit, Depressionen oder Angststörungen gemacht – und waren damit in der Grunge-Szene bei Weitem nicht alleine. Die hohe Anzahl dieser Probleme lässt sich auf eine Mehrzahl an Gründen zurückführen. Zum Beispiel wurde im Jahr 1979, und somit zur Zeit der Kindheit oder frühen Jugend vieler der Künstler, in Washington State das modernisierte Scheidungsgesetz adaptiert, was logischerweise die Scheidungsrate erhöhte. Auch vor dieser Zeit war die Suizidrate in Städten wie Aberdeen, die Seattle naheliegen, überdurchschnittlich hoch, was unter anderem auch auf die damals geringe Kultur der Region zurückgeht.

Ein Ortsschild in Aberdeen, dem Geburtsort Kurt Cobains (Foto: Jay Thompson, CC BY-SA 2.0 )

Grunge als Subkultur

„If you’re a sexist, racist, homophobe, or basically an asshole, don’t buy this CD. I don’t care if you like me, I hate you“
– Kurt Cobain

Musik oder gar Kunst im Generellen ist selten wirklich unpolitisch und wie bereits erwähnt hat Grunge seine Wurzeln im Punk, weshalb auch aus den Fans der großen Rockstars der 90er eine sehr politische Subkultur hervorgeht. Viele dieser Stars setzen sich ein gegen beispielsweise Rassendiskriminierung, Sexismus oder Homophobie. Ein Glanzbeispiel dafür ist ein Konzert von Nirvana aus 1992, die weiblich besetzte Band „Calamity Jane“ spielte als Vorband und wurde von dem scheinbar sexistischen Publikum von der Bühne gebuht. Um das Publikum zu bestrafen, entscheidet sich Nirvana dazu, das gesamte Konzert über ausschließlich unbekannte Songs zu spielen, während sie immer wieder die Zuschauer verhöhnen, indem sie andeuteten, ihre bekannteren Songs zu spielen.
Ein weiteres Vorbild für diese politische Progressivität ist Pearl-Jam-Frontmann Eddie Vedder, der sich mit seiner Band bereits seit den frühen 90ern bis heute für mehrere „Pro-Choice“-Bewegungen einsetzt, welche für Abtreibungsrechte in den USA kämpfen.
Wegen der häufig feministischen Züge in der Szene gab es auch viele Assoziationen zur sogenannten „riot-grrl“-Szene, einer feministischen Underground-Punk-Bewegung. Diese Assoziationen entstanden durch weiblich besetzte Bands wie „Hole“, „L7“ oder „Bikini Kill“.
Neben politischem Engagement und Musik ist die Subkultur des Grunge jedoch natürlich, wie die meisten Subkulturen, auch durch einen Kleidungsstil gezeichnet. Dieser Stil wird charakterisiert durch zum Beispiel Klamotten in Übergrößen, Band T-Shirts, Flanellhemden, Schuhe von Converse oder Stiefel, zerrissene Jeans und generell einen verschlissenen Look. Viele dieser Eigenschaften hängen zusammen mit dem Trend des „Thriftens“, das Shoppen in Second-Hand Läden, das auch durch die Grunge-Bewegung popularisiert wurde.

Der Einfluss & Grunge heute

Auch wenn der Hype um die Szene nach Ende der frühen 90er beginnt, sich zu beruhigen, ist der kulturelle und musikalische Einfluss noch lange zu spüren. In den folgenden Jahren entwickelt sich ein Nachfolger, der sich unter dem Begriff „Post-Grunge“ etabliert, der mit Bands wie Foo Fighters, Bush, Nickelback oder Creed bis heute noch Relevanz in der Musikwelt hat. Ein weiteres Genre, das von der Grunge-Bewegung geprägt wird ist die Nu-Metal-Szene, die ihre Blütejahre in den 2000ern erlebte mit beispielsweise Linkin Park, bei denen Einflüsse durch Grunge-Bands wie zum Beispiel Alice in Chains spekuliert werden. Zudem sind einige der ursprünglichen Grunge-Bands bis heute aktiv, wie unter anderem Pearl Jam und The Smashing Pumpkins, die beide noch dieses Jahr ein neues Album veröffentlicht haben, oder Mudhoney und Alice in Chains, die bis heute aktiv touren.
Die persönlichen Vorlieben sind bei Musik, genau wie bei jeder Form von Kunst oder Entertainment, natürlich bei jeder Person anders, jedoch ist es nicht zu leugnen, dass die Grunge-Bewegung ein Phänomen ihrer Zeit gewesen ist. Zu einer Zeit, in der es immer mehr Künstlern populärer Musik nur noch darum ging, ihre Musik zu vermarkten, wirkte die ursprünglich kleine Szene aus Seattle solchen Idealen entgegen, stellte die Musikwelt auf den Kopf, inspirierte mit ihrer Einfachheit Millionen junge Menschen und potentielle Künstler und tut dies auch bis heute noch.

Falls euch der Artikel neugierig auf eine Soundprobe gemacht hat, ist hier noch eine Grunge Best-of-Playlist mit einigen Hits und Tracks essentieller Grunge-Bands sowie ein paar Post-Grunge-Songs:

Billy Corgan, Frontmann von The Smashing Pumpkins bei Rock am Ring 2019 (Foto: Sven Mandel, CC BY-SA 4.0)

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