Das Coral Castle, Bild von Jtesla16

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30 Jahre Arbeit und 1.000 Tonnen Kalkstein führten zu dem, was Edward Leedskalnin sein Lebenswerk nennen kann – das Coral Castle in Miami, Florida. 1923 begann er mit der Konstruktion und hörte bis zu seinem Lebensende 28 Jahre später nicht auf. Das Coral Castle ist von vielen Mysterien umgeben, denn niemand weiß genau, wie Leedskalnin es auf eigene Faust schaffte, tonnenschwere Steine von A nach B zu bewegen. Auch ist bis heute ungeklärt, was ihn dazu verleitete, das Coral Castle zu errichten – war es das Resultat eines gebrochenen Herzens oder das Monument eines überholten Weltbildes?

Ein Neuanfang

Am 12. Januar 1887 kam Edward Leedskalnin (geb. Edvards Liedskalniņš, kurz Ed) im heutigen Lettland zur Welt – oder auch am 10. August 1887. Bekannt ist über die Anfangsstadien seines Lebens nämlich nicht viel, nur dass er in eine Feldarbeiterfamilie hineingeboren wurde und es seiner Familie mit großen Bemühungen gelang, ihn auf die Grundschule zu schicken. Nach vier Jahren hörte seine schulische Bildung jedoch auf und neben der Feldarbeit widmete er sich dem Handwerk des Steinmetzens und des Bildhauens, welche er von seinem Vater beigebracht bekam.

Es dauerte nicht lange, bis Ed seine große Liebe fand. Im Alter von 26 Jahren war er schließlich mit Agnes Skuvst verlobt, die zu diesem Zeitpunkt 16 Jahre alt war. Ob es letztendlich der Altersunterschied oder ein anderer Grund war, Agnes verließ Edward kurz vor der Heirat. Geprägt von Liebeskummer wollte Ed einen Neuanfang, den er in den Vereinigte Staaten fand.

Mit dem Passagierdampfer SS Pennsylvania überquerte er den Atlantik und traf im April 1912 in New York ein. In der Hoffnung, am Boom der Holzfällerindustrie zu profitieren und damit seinen Unterhalt verdienen zu können, machte Ed sich auf den Weg in den Nordwesten Nordamerikas und erklärte Oregon als sein neues Zuhause. Sein handwerkliches Talent spielte ihm immens in die Karten, denn Ed machte sich etwa acht Jahre lang selbstständig, indem er u. a. Holzgriffe für Äxte anfertigte.

Kalksteinskulpturen im Coral Castle, Bild von Christina Rutz

Glück im Unglück

Es scheint so, als hätte Leedskalnin mit seiner verlorenen Liebe abgeschlossen und der gewollte Neuanfang sei geglückt – jedoch stand das Glück nicht immer auf Eds Seite. Etwa 33 Jahre alt war er, als man ihn mit einer schweren Lungenkrankheit diagnostizierte, vermutlich Tuberkulose. Seine Krankheit erschwerte ihm die Holzfällerarbeit und ihm wurde klar, dass seine Optionen beschränkt waren. Im Vergleich zu heute war der Kenntnisstand zur Behandlung von Tuberkulose deutlich kleiner, weshalb Ed auf eine eigene Methode zurückgriff – eine Reise in den Süden.

In Florida City fand er schließlich das, wonach er suchte, und sogar noch mehr. Nicht nur sein gesundheitlicher Zustand schien durch die Sonne geheilt zu sein, sondern er machte auch neue Bekanntschaften, nämlich die Moser-Familie. Sie versorgte ihn nicht nur medizinisch, sondern verkaufte ihm etwa 4000 m² Land für bloß 12$. Der erste Schritt für den Bau des Coral Castle war getan.

Ein Schloss aus Kalkstein

Etwa 13 Jahre widmete Ed sich seinem Meisterwerk und erschuf ganz alleine eine Art Schloss aus Kalkstein. Zwar war es kein Schloss im üblichen Sinne, was es aber nicht weniger märchenhaft erscheinen ließ. Schaukelstühle, ein Tisch in Herzform, die Skulptur eines Sichelmondes, eine Sonnenuhr, ein Obelisk und ein zweistöckiger Turm, in dem Ed lebte – und all das aus Kalkstein. Er nannte sein Bauwerk „Ed’s Place“.

Am beeindruckendsten ist aber ein neun Tonnen schweres Tor, welches sich bereits drehte, wenn man nur leicht mit dem Finger dagegen drückte. Angelehnt an das Tor änderte Ed den Namen des Ortes daraufhin zu „Rock Gate“. Der Mechanismus des Tors fing nach Leedskalnins Tod an zu rosten, weshalb er mehrmals erneuert werden musste, aber das Tor lässt sich nicht mehr mit derselben Leichtigkeit drehen.

Ed war seiner Zeit voraus – die Reparatur des Tors gelang nur mithilfe von Kränen mit mehreren hundert PS, Ed hingegen installierte das Tor ohne Hilfsmittel dieser Art. Wie schaffte es Leedskalnin dann? Wie war es für einen 1,52 Meter großen Mann, der komplett auf sich alleine gestellt war, möglich, tonnenschwere Steine zu bewegen und damit ein gesamtes Schloss zu errichten?

Das Rock Gate, Bild von Ebyabe

Das Unmögliche wird möglich

Und als ob das nicht schon genug wäre, entschied sich Leedskalnin nach diesen 13 Jahren Arbeit, zusammen mit dem Coral Castle nach Homestead, Florida umzuziehen, angeblich für mehr Privatsphäre. Er transportierte also alle z. T. tonnenschwere Kalksteine ca. 16 Kilometer weit weg und baute das Coral Castle erneut auf, womit Ed etwa 2 Jahre verbrachte.

Es gibt unzählige Theorien, wie er all dies schaffte, was selbst mit heutiger Technologie nur schwer machbar scheint. Augenzeugen berichten, dass Leedskalnin Telekinese beherrschte und Magnetismus nutzte, um Steine zu bewegen und anzuheben. Ed war nämlich für seine Magnetismustheorien bekannt und veröffentlichte diesbezüglich mehrere Schriften und behauptete auch, das Geheimnis hinter dem Bau der Pyramiden zu kennen. Er habe die Gesetze der Schwerkraft gemeistert – konkretisiert hat Ed dies aber nie.

Dass das Coral Castle mit antiker und verlorener Technologie der Ägypter gebaut wurde, ist also äußerst unwahrscheinlich. Realistischer ist eher, dass Ed alltäglichere Instrumente wie Flaschenzüge und Kiefernstative benutzte, um Steine anzuheben und Werkzeuge aus alten Autoteilen baute, um die Steine zu bearbeiten. Dieser Link führt zu einer der wenigen Videoaufnahmen von Ed während des Baus des Coral Castle, in dem besagte Instrumente verwendet werden und ebenso sieht man das berüchtigte Rock Gate in Aktion.

Doch es bleiben viele Fragen offen, denn selbst die besten Flaschenzüge und Kiefernstative waren zu der Zeit nicht in der Lage dazu, die schwersten Kalksteine des Coral Castle zu heben, weshalb die Konstruktion des Coral Castle wohl immer ein nur halb aufgedecktes Mysterium bleibt.

Turm des Coral Castle und Leedskalnins Wohnort, Bild von Ebyabe
Turm von innen, Bild von Ebyabe

Aus Liebe zur Ungewissheit

Die Redakteurin Monica Uszerowicz von „The Bitter Southener“ vermutet, dass Ed sich und sein Bauwerk gewollt mysteriös darstellte.

Dies fällt auch schon beim Blick in Leedskalnins Buch „A Book in Every Home“ auf, in dem nur die linken Seiten beschrieben sind – die rechten blieben alle unbedruckt. Ed behauptete, dass die Leser die freien Seiten nutzen können, um Verbesserungsvorschläge zu notieren, falls ihnen seine Literatur nicht gefällt. Die kryptische Schreibweise des Buches könnte darauf hinweisen, dass die weißen Seiten auch Platz für den Leser bieten sollten, um eine versteckte Bedeutung seines Buches zu entziffern und eine Art „geheimen Code“ zwischen den Zeilen zu finden.

Doch ob es diesen Code wirklich gibt, ist unklar, weshalb auch das größte Mysterium bezüglich Eds Persönlichkeit niemals aufgeklärt wurde – seine „Sweet Sixteen“.

Eine verlorene Liebe?

Zu Lebzeiten gab Leedskalnin höchstpersönlich für 10 Cent Touren vom Coral Castle. Auf die Frage, warum er das Schloss baute, antwortete er stets, dass es seiner Sweet Sixteen gewidmet sei. Wen oder was Ed damit meinte, ist bis heute ein Rätsel.

Man mag schnell zum Entschluss kommen, dass damit Agnes Skuvst gemeint war – Eds Verlobte, die ihn kurz vor der Heirat verließ und zu diesem Zeitpunkt 16 Jahre alt gewesen sei. Dies ist auch die verbreitetste Erklärung, die u. a. auf der offiziellen Coral Castle Website zu finden ist. Dass Liebeskummer also der Grund für den Bau des Coral Castles ist, ist nicht ganz unwahrscheinlich, jedoch ist die Existenz einer Agnes Skuvst nie bestätigt worden. Ab und zu ist auch die Rede von einer Hermīne Lūsis, die statt Agnes Skuvst die Verlobte Leedskalnins gewesen sein soll, jedoch soll sie zum gleichen Zeitpunkt nicht 16, sondern 24 Jahre alt gewesen sein. Ed klärte nie auf, ob eine solche ehemalige Verlobte im Bezug zu seiner Sweet Sixteen stand.

In seinem Buch „A Book in Every Home“ findet seine Sweet Sixteen zwar Erwähnung, jedoch in sehr verschlüsselter Form. Ed schrieb, dass es nicht ein 16-jähriges Mädchen sei, von dem er spreche, sondern eher ein „brandneues“. „Sweet Sixteen“ wirkt hier eher wie ein Ideal bzw. eine Sozialtheorie, die Leedskalnin vertritt – Aktionen jeglicher Art hätten mehr Auswirkungen auf Mädchen als auf Jungen, da ihre Körper und Seelen „zarter“ seien und einen tieferen Eindruck hinterließen. Leedskalnin zufolge sei es der Idealzustand von Mädchen unter dem Alter von 16, „brandneu“ zu sein.

Diese Worte können aus heutiger Sicht als misogyn und generell fragwürdig aufgefasst werden. „Brandneu“ ist positiv konnotiert – Frauen älter als 16 seien also nicht mehr „brandneu“ und folglich werden sie schlechter dargestellt, diejenigen unter 16 im Idealfall allerdings schon und somit werden sie als besser dargestellt. Ob hinter dieser kritisch zu betrachtenden und aus der Zeit gefallenen Aussage Leedskalnins ebenso ein geheimer Code stecken könnte, ist erneut ungeklärt.

Tisch in Herzform, Bild von Ebyabe

Falls dieses Ideal nun die wahre Bedeutung seiner Sweet Sixteen sein soll, stellt sich dennoch die Frage, ob Ed tatsächlich so überzeugt von seiner Theorie war, dass er dieser ein gesamtes Schloss widmete.

Leedskalnins Vermächtnis

Am 7. Dezember 1951 starb Leedskalnin an einer Niereninfektion im Jackson Memorial Hospital in Miami. Ed hörte bis zu seinem Lebensende nicht auf, am Schloss zu arbeiten und fasziniert Besucher bis heute mit seinem Lebenswerk. Der britische Rockkünstler Billy Idol und die lettische Rockband Carnival Youth verarbeiteten Leedskalnins Lebensgeschichte in musikalischer Form mit den Liedern „Sweet Sixteen“ und „Coral Castle„.

Das Coral Castle lebt trotz Eds Tod also weiter – als prächtiges Bauwerk, als Liebeserklärung, als Mysterium.

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